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Öffentliche und freie Wohlfahrtspflege in München fordert Bund und Länder auf, wirksamere Gesetze zu erlassen, um Spekulation und Preisexplosion auf dem Mietmarkt einzudämmen. 

 

Die bayerische Landeshauptstadt wächst und wächst – und in ähnlichem Maß schießen auch die Mieten in die Höhe, so dass sich immer weniger Normalverdiener das Leben in der Stadt leisten können. Bei der Podiumsdiskussion „Wohnsinn? Wahnsinn!“ haben Träger der öffentlichen und freien Wohlfahrt gemeinsam kritisiert, dass die Gesetzgebung des Bundes zu dieser Situation maßgeblich beitrage. Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) zufolge ist München in den vergangenen acht Jahren um rund 160.000 Einwohner gewachsen, während gleichzeitig nur 35.000 Wohnungen gebaut werden konnten. So gibt es derzeit 13.000 bewilligte Anträge auf eine Sozialwohnung – davon allein 10.000 mit Dringlichkeitsstufe 1 – die Stadt kann jedoch pro Jahr nur etwa 2.800 Wohnungen vergeben. 

 

Vor 2010 sei die Bevölkerungszahl eher stagniert; mit dem starken Zuzug habe man nicht gerechnet. Jetzt sei es ausgesprochen „mühsam“, neue Wohnungen zu bauen; auf Bundesebene bräuchte es „ganz starke gesetzliche Werkzeuge, um das Problem in Griff zu bekommen – aber da tut sich sehr wenig“. Der Mietspiegel beispielsweise berücksichtige nur die in den letzten vier Jahren abgeschlossenen Verträge und repräsentiere somit nicht die Durchschnittsmieten. Schiwy wörtlich: „Das ist ein Mieterhöhungsspiegel.“ Schiwy kritisierte zudem, dass die Bodenpreise zu einem Spekulationsobjekt geworden seien und auch die Stadt aufgrund gesetzlicher Vorschriften an den höchstbietenden Investor verkaufen müsse. Damit kriege man die Preisexplosion nicht in den Griff. Baugrund werde in München somit „ein wahnsinnig teures Gut; die Enge produziert dann Stress“. 

 

Günther Bauer, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände, forderte Bund und Länder auf, selber in den Wohnungsbau zu investieren, damit diese langfristig ihre soziale Mietbindung behalten. Die Grenze zwischen öffentlicher Verantwortung und den wirtschaftlichen Anforderungen müsse neu gezogen werden: „Das kann man nicht dem Markt überlasse, denn dann sind die wirtschaftlich Schwachen immer die Verlierer.“ Gleichzeitig forderte Bauer den Gesetzgeber auf, eine Möglichkeit zu schaffen, Gewinne aus Bodenspekulation abzuschöpfen, um sie für soziale Wohnprojekte umzuleiten. Die Attraktivität der Stadt müsse „sozial ausbalanciert“ sein. 

 

Gleichzeitig schlug er eine komplett andere Mietpreisgestaltung vor: Während die ersten 25 Quadratmeter sehr preiswert sein sollten, müssten bei zunehmender Wohnungsgröße die Kosten deutlich steigen. Bauer wörtlich: „Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum für Fachkräfte, die die Stadt am Laufen halten.“ Überdies gebe es in München nicht zu wenig Wohnraum; es seien in den vergangenen Jahrzehnten jedoch die individuellen Ansprüche gestiegen. Derzeit beanspruche eine Person durchschnittlich 40 Quadratmeter Wohnfläche. 

 

Am stärksten betroffen von der Wohnraummisere in der bayerischen Landeshauptstadt sind alleinerziehende Frauen mit Kindern. Diese seien am stärksten von Armut betroffen, berichtete Isabel Schmidhuber, Leiterin des Frauenobdachs Karla 51. Hätten in ihrer Einrichtung vor gut zwanzig Jahren rund ein halbes Dutzend Kinder gelebt, seien das jetzt 30 bis 40. Allein im vergangenen Jahr habe es 3.200 Anfragen nach einer Unterbringung in ihrem Haus gegeben, berichtete die Sozialpädagogin; lediglich knapp 250 Personen habe man aufnehmen können. „Auch alle anderen Hilfeeinrichtungen und Unterkünfte sind dicht, wir wissen nicht, wo wir die Frauen unterbringen können.“ Wohnungslosigkeit sei in unserem reichen Land „die extremste Form von Armut“; wer keine eigene Wohnung habe, zähle zur ärmsten Bevölkerungsgruppe. 

 

Klaus Honigschnabel

 

Foto: Oliver Bodmer