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Knapp 3.000 Personen haben im vergangenen Winter einen kostenlosen Schlafplatz im Münchner Kälteschutzprogramm bekommen. Die Landeshauptstadt finanziert das Kälteschutzprogramm und die Beratungsstelle „Schiller 25“mit jährlich mehr als drei Millionen Euro.

In 181 Nächten zwischen Anfang November und Ende April haben genau 2.956 volljährige Personen über das Kälteschutzprogramm der Landeshauptstadt München auf dem Gelände der ehemaligen Bayern-Kaserne eine oder mehrere Nächte verbracht. In der Winterperiode 2016/17 waren es mit 3.111 geringfügig mehr Bedürftige gewesen. Rund die Hälfte der Personen kam wie auch in den Vorjahren aus Rumänien und Bulgarien (47 Prozent), vier Prozent aus Italien und zehn Prozent waren deutsche Staatsangehörige. Älter als 61 Jahre waren 139 Personen. Insgesamt haben 1.812 Personen zudem das Beratungsangebot in „Schiller 25“ angenommen – darunter auch solche, die dann nicht im Kälteschutz übernachtet haben. Nach sechs Monaten hat die kostenlose Übernachtungsmöglichkeit in der ehemaligen Bayernkaserne Ende April wieder ihre Tore geschlossen.

Über die Hälfte der Personen übernachteten weniger als zehn Nächte im Kälteschutz, ein Fünftel allerdings auch länger als einen Monat; Spitzenbelegung war in einigen Februarnächten mit rund 480 Personen. Maximal bietet der Kälteschutz in der Bayern-Kaserne, der bereits zum sechsten Mal stattfand, Platz für rund 850 Menschen gleichzeitig. Insgesamt zählten die Mitarbeitenden des Evangelischen Hilfswerks rund 58.500 Übernachtungen; im Vorjahr waren es 60.346 gewesen. Am Heiligen Abend hatte Heinrich Bedford-Strohm, Bayerischer Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzender, den Kälteschutz besucht, einen Gottesdienst gefeiert, gemeinsam mit den Besuchern gefrühstückt und sie nach ihren Problemen und Perspektiven gefragt.

Anton Auer, der als Bereichsleiter beim Evangelischen Hilfswerk für die Unterbringung zuständig ist, kommentierte diese Zahlen, die während der vergangenen fünf Jahren nahezu konstant geblieben sind, mit großer Gelassenheit: „Es gab Befürchtungen, dass unser Münchner Angebot in verschiedenen Ländern eine gewisse Magnetwirkung entwickelt; das hat sich nicht bewahrheitet.“ Ungelöst sei jedoch nach wie vor die Frage, wo zugereiste Familien mit kleinen Kindern den Sommer über in der bayerischen Landeshauptstadt unterkommen können. Auer: „Wir haben da zwar mit unserer Einrichtung ‚FamAra‘ ein Angebot, das aber keine Übernachtungsmöglichkeit anbietet.“

Andreea Untaru, deren Team in der Beratungsstelle „Schiller 25“ für die Einweisungen zuständig ist und auch Beratungsangebote macht, sieht hinter den nackten Zahlen der Statistik vor allem die Schicksale der Menschen: „Wenn man in der Heimat die eigene Familie nicht mehr ernähren kann und mit einem Mindestlohn von etwa 300 Euro nicht einmal die Mietkosten bezahlen kann, liegt es in der Natur des Menschen, überall nach einer besseren Perspektive zu suchen.“ Dieser Ort sei für viele Menschen eben der europäische Binnenmarkt: „Ein Raum ohne Grenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen gewährleistet ist.“

Das Hilfswerk hatte im vergangenen Jahr gemeinsam mit einer Stadtratsdelegation, Mitarbeitenden aus der Stadtverwaltung und von Kollegialverbänden eine Studienfahrt nach Rumänien unternommen, um sich die dortige Situation mit eigenen Augen anzusehen. Nun soll mithilfe der dort entstandenen Kontakte eine Kooperation aufgebaut werden, um EU-Mittel zu beantragen und so die Situation vor Ort zu verbessern.

Die meisten Beratungsgespräche des Sozialpädagogen-Teams von „Schiller 25“ kreisten darum, ob es hier eine realistische Lebensperspektive gibt, so Untaru. Ihrer Beobachtung nach sind die meisten derjenigen Menschen, die den Kälteschutz beanspruchen, auch arbeitsfähig. „Die meisten finden einen Job im Niedriglohnsektor, als Tagelöhner oft bei Subsubunternehmen in der Reinigungs- oder Baubranche.“ Trotzdem lebten viele von ihnen in prekären Wohnverhältnissen, wie etwa Abbruchhäuser im Sommer. Weitere Themen, die in der Beratung auftauchen, sind mündliche Arbeitsverträge, die sich im Nachhinein als untauglich herausstellen oder angebliche Vollzeitstellen, die aber nur als geringfügige Arbeitsgelegenheiten gemeldet sind.

Gordon Bürk, Geschäftsführer des Evangelischen Hilfswerks, das den Kälteschutz im Auftrag der Stadt betreibt, betonte, der Kälteschutz sei alles andere als ein Luxusangebot: „Wer sich auf die weite Reise macht, kämpft ums nackte Überleben.“ Das Münchner Angebot finde man in der Bundesrepublik kein zweites Mal in dieser Form. Zugleich wies er darauf hin, dass aufgrund anhaltender wirtschaftlicher und politischer Probleme in den Herkunftsländern wohl noch länger mit dem Phänomen der Armutsmigration zu rechnen sei. „Für die Menschen ist es überall besser als daheim.“

Seit dem Ende der Null-Grad-Grenze vor vier Jahren ist die Zahl der volljährigen Kälteschutzbesucher mit rund 3.000 Personen nahezu gleich geblieben. Im Schnitt haben in dieser Zeit durchschnittlich pro Nacht gut 300 Menschen im Kälteschutz geschlafen. Die Landeshauptstadt finanziert das Programm mit mehr als drei Millionen pro Jahr. Das Beratungsangebot in „Schiller 25“ besteht auch während der Sommermonate.

Klaus Honigschnabel