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Petra Reiter, Schirmherrin des Münchner Netzwerks Wohnungslosenhilfe, unterwegs mit Streetworkern der Teestube „komm“

 

Es ist voll in der Teestube: Menschen drängeln sich aneinander vorbei zu den Duschen, in die Küche, zurück zu den Tischen, wo beinahe jeder Platz belegt ist. Einige lesen Zeitung, einer hat seinen Kopf auf den Tisch gelegt und schläft. Über allem lautes Stimmengewirr und der Geruch von Essen und nicht so oft gewaschener Kleidung.

 

„Ist es hier immer so voll?“ fragt Petra Reiter die Mitarbeiter später in der Mitarbeiterküche. Die Frau des Münchner Oberbürgermeisters ist an diesem regnerischen und kalten Novemberabend in die Zenettistraße ins Schlachthofviertel gekommen, um sich persönlich über die Arbeit in der Teestube „komm“ des Evangelischen Hilfswerks zu informieren. „Im Winter ist es sehr voll, die 70 Sitzplätze sind eigentlich immer belegt – in der kalten Jahreszeit reichen sie oft nicht“, sagt Franz Herzog, Leiter der Einrichtung, die sich um obdachlose oder von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen kümmert. „Und die Zahl der Besucher nimmt zu: Heute kommen deutlich mehr Menschen als noch vor drei oder vier Jahren.“

 

Von 14 bis 20 Uhr hat die Teestube jeden Tag geöffnet und bietet die Möglichkeit zu duschen, Wäsche zu waschen, zu kochen oder sich einfach nur zu wärmen. Die Mitarbeiter versuchen auch, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, sie zu beraten und bieten Begleitung an, etwa bei Behördengängen.

 

Petra Reiter hört aufmerksam zu, wie die Streetworker von ihrer Arbeit erzählen. Dass die Teestube wohnungslosen Menschen auch die Möglichkeit bietet, sie als Postadresse anzugeben, findet sie sehr gut. Ob es auch einen Austausch der Mitarbeiter mit anderen Städten gebe, fragt sie interessiert. „Wir waren vor einiger Zeit in Berlin und sind mit den dortigen Streetworkern mitgelaufen“, erzählt Ellen Mayrhofer. „Aber ich muss sagen, dass die Arbeit der Teestube vorbildhaft für ganz Deutschland ist.“ Denn hier gebe es die Kombination aus dem Tagesaufenthalt in der Teestube und der Arbeit auf der Straße, außerdem Beratungsmöglichkeiten und Plätze im unterstützen Wohnen – alles aus einer Hand. „Das ist auch ganz wichtig für das Vertrauensverhältnis zu den Klienten“, sagt die Sozialpädagogin.

 

Auch das Kälteschutzprogramm der Stadt sei vorbildhaft, ergänzt Einrichtungsleiter Herzog. Sein Traum sei es jedoch, dass die Menschen mit dem Berechtigungsschein kostenlos den Bus zu den Schlafplätzen in der Bayernkaserne nutzen könnten. Die liege doch etwas außerhalb und eine einfache Fahrt für 2,70 Euro könnten sich viele wohnungslose Menschen nicht leisten.

 

Nach dem Gespräch gehen Reiter und die Streetworker noch einmal in den Hauptraum der Teestube: Er ist immer noch sehr voll. Eine Frau sitzt alleine am Tisch und dreht im Akkord Zigaretten mit einer kleinen Maschine. Petra Reiter bleibt verwundert stehen, sie hat früher selbst mal geraucht. Was ihr größter Wunsch sei, fragt sie die Frau. „Ich habe keine Wünsche“, antwortet sie. Sie ist dankbar, dass sie hier im Warmen sein dürfe und fühle sich in der Teestube gut aufgehoben.

 

„Das trifft einen direkt ins Herz“, sagt Reiter später. Sie ist beeindruckt von der freundlichen Atmosphäre und der guten Organisation in der Einrichtung. Und erstaunt und vielleicht auch ein bisschen schockiert darüber, dass viele Klienten der Teestube nicht auf den ersten Blick als Wohnungslose erkennbar sind.

 

Nach dem Besuch in der Teestube fährt Reiter mit den Streetworkern Ellen Mayrhofer und Uwe Stoye noch zum Hauptbahnhof. Er ist einer der Orte, den die beiden während ihrer Arbeit aufsuchen, um dort gezielt Wohnungslose anzusprechen und Hilfe anzubieten. In der Nische der Unterführung an der Paul-Heyse-Straße liegen heute zwar ein paar Habseligkeiten, aber es ist niemand da. „Hier hat lange ein Mann gelebt, den wir gut kannten“, erzählt Mayrhofer. „Leider musste er irgendwann zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen werden, weil er sich selbst gefährdet hat und zum Beispiel immer wieder auf die Straße gelaufen ist.“

 

Viele Menschen, die auf der Straße leben, sind psychisch krank, erzählt Uwe Stoye beim Weiterlaufen. So wie die Slowakin, die unter den Arkaden des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes an der Arnulfstraße sitzt und einen Döner isst. Auch sie kennen die beiden Streetworker schon lange. Zwischendurch war sie in einer Einrichtung untergebracht, doch seit sie ihre Medikamente wieder abgesetzt hat, lebt sie wieder auf der Straße.

 

Stoye und Reiter gehen in die Knie und versuchen, ein paar Worte mit der Frau zu wechseln. Doch sie ist heute nicht sehr gesprächig und isst schließlich schweigend weiter. „Wir drängen uns nicht auf“, sagt Stoye. „Aber wir gehen regelmäßig zu den Menschen hin, schauen wie es ihnen geht und bieten immer wieder unsere Hilfe an.“

 

Am Ende des Rundgangs, zurück im Bahnhofsgebäude, bedankt sich Petra Reiter bei den Streetworkern für den Einblick in deren Arbeit. „Mir ist klar geworden, dass nichts von dem, was wir haben, selbstverständlich ist“, sagt die Frau des Oberbürgermeisters. „Der Wert meines Zuhauses, einer warmen Wohnung mit einer Dusche und einer warmen Mahlzeit ist mir nach diesem Abend viel deutlicher als das noch heute Morgen war.“ Deshalb unterstützt sie das Münchner Netzwerk Wohnungslosenhilfe – weil sie helfen will, und zwar direkt vor der eigenen Haustür.

 

Imke Plesch/Foto: Erol Gurian